Anlässlich seines Besuchs in Österreich Mitte Oktober führte Nationalparkdirektorin Edith Klauser ein Interview mit Professor Michael Succow. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Nationalparks und Biosphärenreservate in Ostdeutschland geschaffen wurden. Für seinen Einsatz wurde ihm der Alternative Nobelpreis seitens der Right Livelihood Award Foundation verliehen. Er unterstützt mit seiner Stiftung bis heute die Gründung und Weiterentwicklung von Großschutzgebieten.
Edith Klauser: Sehr geehrter Herr Professor Succow! Sie kennen weltweit viele Schutzgebiete, gelten selbst als „Vater der deutschen Nationalparks“ und haben zahlreiche Naturschutzvorhaben realisiert. Nun besuchen Sie zum ersten Mal den Nationalpark Donau-Auen. Wir haben gestern eine Befahrung eines renaturierten Seitenarms unternommen. Wie haben Sie die Flusslandschaft erlebt?
Michael Succow: Es war eine sehr tiefe Berührung mit diesen Donau-Auen, die ich kurz nach einem Hochwasser erleben konnte, das ja für eine Au charakteristisch ist. Ich bin sehr beeindruckt, dass in Mitteleuropa und dazu noch am Rande euer Bundeshauptstadt Wien ein Stück der Donau erhalten bleiben konnte, welches noch lebt und funktionstüchtig ist. Hier gibt es nicht bloß ein wenig Renaturierung oder ein Altwasser, sondern hier ist es gelungen, in Österreichs größtem Fluss etliche Kilometer befestigtes Ufer zu entfernen und die Gewässer zu vernetzen. Dem Wasser in seiner ungeheuren Dynamik, wie es die Donau eben hat, wieder den Weg freizugeben nach den Gesetzen der Natur. Die Landschaft wieder so zu gestalten, dass ein Überflutungsraum garantiert wird, wie er Jahrtausende bestand. In einer Zeit, wo die Probleme mit Hochwässern, mit Extremereignissen zunehmen, ist dieses Gebiet jetzt ein Freiraum für Wasser, welches Leben bringt. Wo Flussinseln mit Sandbänken und Steilufer entstehen. Mit Stellen, wo der Eisvogel brüten kann. Das ist ungeheuer beeindruckend. Ich habe noch nie in meinem Leben so gewaltige Silberpappeln gesehen, wie ihr sie hier habt. 200 - 250 Jahre alt, mit einer Höhe von 50, vielleicht sogar 60 Metern. Nicht eingebrachte Schwarzpappeln aus Amerika, sondern die für mich schönste Pappel, die Silberpappel - und dazu dann der Seeadler, der uns begrüßt hat. Ein Pärchen kam und kreiste über uns, dazu die kleinen Flussuferläufer und die Kormorane, die Graureiher. Es ist eine Landschaft voller Leben, voller Vielfalt! Mit den Wasserarmen, Flussinseln, ausgerissenen Baumstümpfen. Eine Wildnis vor den Toren einer Großstadt mit dem großen Strom, der ruhig vor sich hinzieht und dann auf einmal mit einer Wuchtigkeit urtümliche Auwälder hervorbringt. Ich denke, ich konnte so an die 15 Baumarten feststellen. Das ist etwas Besonderes für Europa und ich kenne wirklich viele Gebiete, auch viele Flussauen. Dies ist ohne Zweifel ein sehr gelungenes Beispiel von Revitalisierung und Wiederherstellung einer sehr dynamischen Auenlandschaft.
Klauser: Wir haben weiters einen Gelegeplatz der Europäischen Sumpfschildkröte besichtigt und über die Artenschutzprojekte bei uns im Nationalpark Donau-Auen gesprochen. Sind in deutschen Nationalparks ähnliche Maßnahmen bekannt?
Succow: Es gibt immer noch Dinge, die für mich neu und sofort überzeugend sind, weil sie von großer Kenntnis der Ökologie und tiefer Zuneigung zu einer Art zeugen. Dann entstehen auf einmal fast Wunder. Eine Flussauenlandschaft, die in Teilen von Dämmen eingeschlossen ist, um Hochwässer von den besiedelten Räumen abzuhalten. Dazu die vielen kleinen Altwasserarme, die wieder revitalisiert worden sind. Die Ruhegewässer mit kleinen sonnigen Kanten. Wie ich heute erfahren habe, sind das die Lebensräume der Europäischen Sumpfschildkröte, eine Art die ich aus meiner Kindheit noch kenne. Diese Form des Gelegeschutzes, mit einem feinmaschigen Gitternetz, ist sehr wirksam und hilft, dass sich die Population selbst regenerieren kann. Das ist eine Umsetzung, zu der ich allen, die sich dafür engagieren, herzlich gratuliere und die mich sehr zuversichtlich für die Zukunft stimmt.
Klauser: Für den Nationalpark ist die Umweltbildung sehr wichtig. Wir bieten Kindern und Jugendlichen viele unterschiedliche Programme an, um sie für die Natur zu begeistern. Was würden Sie gerne der Jugend mitgeben, wenn wir an gelingenden Naturschutz denken?
Succow: Da muss ich etwas weiter ausholen. Es geht jetzt in dieser Phase unserer Hochzivilisation nicht mehr um den reinen Naturschutz. Sondern wir sind in einem Stadium angekommen, wo der Erhalt der Funktionstüchtigkeit der uns tragenden Ökosysteme, der Moore, der Wälder, der Steppen essentiell ist. Dies wird zur zentralen Frage für unser Überleben. Deshalb ist heute der Schutz des Naturkapitals vielleicht die bedeutendste Sozialleistung für die Zukunft. Ohne die Natur können wir nicht existieren und die Vernutzung der Natur, wie sie jetzt passiert, lässt uns zu einem Auslaufmodell werden. Das müssen wir begreifen. Die Natur steht über uns, ihre Gesetze sind unabdingbar zu akzeptieren, die können wir nicht verändern. Der Glaube, mit technischen Lösungen Zukunftsfragen zu meistern, ist verführerisch. Nur das, meine ich, ist eine Illusion, die in der Regel Menschen betört, die dermaßen der Natur entfremdet sind, dass sie diese gar nicht mehr begreifen. Die Natur als ein Ökosystem im Zusammenhalt der einzelnen Kompartimente Wasser, Boden, Klima, Vegetation, Tierwelt ist für mich ein Wunder. Und deshalb ist der Erhalt dieser Ökosysteme, der Erhalt ihrer Funktionstüchtigkeit so wichtig. Das ist die zentrale Frage und dazu gehört unter anderem ökologische Bildung. Wir sind jetzt in einer Phase, wo junge Menschen aufzuklären sind und das beginnt mit dem Naturerlebnis, der Liebe zur und Achtung vor der Natur. Große Aufgaben warten, aber noch glaube ich daran und viele Jugendbewegungen wie z.B. Fridays for Future geben mir Hoffnung und Kraft - und natürlich auch die Aktivitäten des Nationalparks hier.
Klauser: Danke vielmals für das Gespräch und für Ihren Besuch.
Fotos: Ossenbrink